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Reise ins rechte Ungarn… (12.08. – 25.08.2014)

Reisetagebuch Ungarn 12.08.14 bis 25.08.14

12.08.2014: Mit dem Taxi nach Budapest,…

…allerdings nur vom Budapester Flughafen aus. Ich habe viel Zeit diese erste Fahrt durch Ungarn auf mich wirken zu lassen, denn wir sind in die Rush-hour geraten und zum Gespräch des Taxifahrers mit meinem Kollegen habe ich nichts bei zu tragen – die beiden sprechen ungarisch und das verstehe ich nicht. Es ist, wie man sich ein ehemaliges Ostblockland vorstellt: Die Häuser sind klein und reihen sich eng aneinander die Straße entlang, die auch definitiv schon bessere Zeiten hatte. Daneben die Bahnstrecke – von der Straße abgegrenzt durch einen verrosteten Zaun gestützt auf Betonpfeiler. Sowieso ist alles verrostet hier: Gartentore, Brücken, Busse und ein Zug, der gerade neben uns herfährt. Vor zehn Jahren ist dieser Zug wahrscheinlich noch durch Deutschland gefahren, das Zeichen der Deutschen Bahn ist noch zu erkennen. Er wurde in Deutschland als nicht mehr modern genug aussortiert und nun fährt er hier in Ungarn neben uns. Die kleinen Häuser am äußersten Stadtrand weichen nun den Plattenbauten. Sehr hohe, sehr schmutzige und lieblos wirkende Plattenbauten, die noch aus der Zeit des Kommunismus sind und seitdem wohl auch nicht mehr verändert wurden.
Mein Kollege übersetzt mir, dass unser Taxifahrer der Meinung ist, mit durchschnittlich umgerechnet 700 Euro monatlich läge man in Budapest sehr hoch. Er sei daher zufrieden hier. Das überrascht mich. In Ungarn sind die Lebenshaltungskosten fast genauso hoch wie in Deutschland, wie will man da mit 700 Euro im Monat auskommen? Und die Menschen auf dem Land verdienen noch viel weniger… Wahrscheinlich sind diese schmucklosen, heruntergekommenen Häuser am Stadtrand eine Antwort darauf. Fast bin ich ein wenig traurig, dass wir nicht hier sondern in der Innenstadt von Budapest wohnen werden. Ich hätte sehr gerne mehr über die Menschen in diesen Siedlungen erfahren.
Langsam kommt Leben in das Stadtbild. Da ist plötzlich ein Obi-Baumarkt wie man ihn aus Deutschland kennt. Deichmann und Lidl gibt es auch. Je weiter wir in Richtung Zentrum fahren desto schöner und lebendiger wird es. Die Straße ist besser befahrbar, statt Plattenbauten tauchen ganze Häuserblöcke im Jugendstil auf, es gibt Cafés und Bars, die gut gefüllt sind. Der Taxifahrer hält in einer Seitenstraße und wir machen uns samt Gepäck und Kameras auf zu unserer Wohnung, die sich in der Fußgängerzone und Einkaufsstraße der Touristen befindet. Allerdings sind nur wenige Touristen unterwegs. Ungarn hat es sich mit seiner Anti-Euro-Politik der letzten Jahre bei vielen Touristen verscherzt. Auch ich habe inzwischen von einigen Menschen gehört, die das Land bewusst boykottieren. Stattdessen, erzählt mir mein Kollege, fahren ungarische Bürger aus dem ganzen Land nach Budapest, um dort Urlaub zu machen. Gerade die Bevölkerung auf dem Land muss dafür jahrelang sparen.

Einkaufen auf Ungarisch

Wir müssen noch einkaufen gehen, damit wir morgen früh vor dem Treffen mit unserer Kontaktperson frühstücken können. Einkaufsladen unserer Wahl ist ein Tesco-Supermarkt in der Innenstadt. Es ist erstaunlich, wie einige Konzerne und Ladenketten immer wieder im Stadtbild auftauchen, egal wo man ist, denke ich mir als wir uns durch die engen Reihen des Supermarktes quetschen. Kräftig gebaut darf man nicht sein, wenn man hier unbeschadet und ohne Schaden anzurichten hier durch kommen will. Es dauert eine ganze Weile bis wir alles, was wir brauchen, zusammen gesammelt haben. An der Kasse dann für mich der nächste Schock: Das Büro inklusive Supermarktleitung und deren Drucker befindet sich direkt neben den Kassen. Lediglich eine tischbeinhohe Holzvorrichtung trennt beide Bereiche voneinander – in Deutschland überhaupt nicht möglich. Viel mehr beschäftigt mich aber gerade: Es gibt keine Kassenlaufbänder! Ähhh, was soll ich denn jetzt mit dem Einkaufskorb und den darin enthaltenen Lebensmitteln machen? Während ich noch schaue, wie die Leute vor mir in der Schlange mit dem Problem umgehen, stellt mein Kollege den Korb zielsicher auf eine vertiefte Ablage zwischen den einzelnen Kassen. Das ist wohl normal, denn die Kassiererin, die übrigens auch nur brüchig englisch spricht, scannt die Lebensmittel in die Kasse, wartet bis wir sie dann eingepackt haben und stellt den Korb hinter sich auf eine Ablage. Besagtes brüchiges englisch führte dann noch dazu, dass das Bezahlen unweigerlich länger gedauert hat, aber wir haben es alle überlebt und das Frühstück für morgen ist gesichert.

13.08.2014: Und die Bevölkerung macht mit.

Wir stehen vor dem Parlamentsgebäude in Budapest. Die uns als so groß angekündigte Demonstration, die wir beobachten wollten, entpuppt sich gerade als eine Handvoll Leute, die gemütlich in Camping-Klappstühlen sitzen. Mittendrin Zina, unsere Kontaktperson. Sie ist in der Runde mit Abstand die Jüngste. „Wir bleiben hier bis Orban verschwindet und die Verfassung von 2010 wieder in Kraft tritt“, erklärt mir der Anmelder dieser Demo. Sie seien schon ein paar Tage hier, dürften aber weder Zelte aufbauen noch Leute ansprechen. Menschen, die an diesem „Camp“ vorbeigingen, müssten sich an einem der vier Klapptische melden, dann dürften sie informiert werden – Auflage der Polizei. Ich bemerke die hierarchische Struktur in dieser kleinen Gruppe. Es sprechen immer dieselben drei Leute, die sich mir auch als Gruppenleiter vorgestellt haben. Das geht mir zu wider, denn für mich bedeutet der antifaschistische Kampf auch einen anarchistischen Kampf. Antifaschisten, ja, genau das seien sie! Aber sie seien so wenige, dass sie im Stadtbild kaum auffallen würden, erzählt mir Zina. Und viele hätten Angst vor Polizei und den Regierungsanhängern. Da war zum Beispiel diese Demonstration, weil einem jüdischen Dichter die Ehrenbürgerschaft in Budapest aberkannt wurde. Die Demonstranten wurden von Regierungsanhängern angegriffen und einige lebensbedrohlich verletzt. Seitdem sei es still geworden in Budapest.
Wir gehen mit Zina und einem Freund von ihr in ein Cafe, um zu besprechen bei welchen Aktionen wir dabei sein und filmen dürfen. Während wir durch eine Allee mit Porzellan- und Antiquitätenläden gehen, erzählt uns Zinas Begleiter von der stagnierenden Wirtschaft in Ungarn, dass zum Verkauf von Tabak nun eine spezielle Lizenz bräuchte und diese nur an Anhänger der Regierungspartei verteilt würden. Das macht mich sehr nachdenklich. Die Ablehnung von Nationalismus und Rassismus kann Menschen in diesem Land in Schwierigkeiten bringen, die ihren Lebensstandard bedrohen. Zinas Begleiter berichtet von einer Brücke, die von EU Geldern finanziert wurde. Die Arbeiter hätten ihren Lohn aber nie erhalten, weil die Baufirma – übrigens auch Regierungsnah – kurz nach Fertigstellung der Brücke aufgelöst wurde. Ob es denn keine Gewerkschaften gibt, frage ich. „Doch, bevor Orban an die Macht gekommen ist, gab es auch noch unabhängige Gewerkschaften, die Wurden dann aber vom Runden Tisch, wo Gewerkschaften, Arbeitgeber und Regierung verhandeln ausgeschlossen. Dieser Runde Tisch hat dann dafür gesorgt, dass das Streikrecht abgeschafft wurde.“ Mitten in Europa, mitten in der EU!!! Nun hat es keinen Sinn mehr Organisatorisches für das nächste Treffen zu besprechen, denn Zinas Begleiter hat sich in Rage geredet. Seine Enkelin sei jetzt in der ersten Klasse und wäre mit einem Gedicht eines faschistischen Dichters nach Hause gekommen. Er hätte den Zettel zerrissen, aber das Gedicht sei nun offizielle Schullektüre. Aber das sei nur ein kleiner Teil des Regierungsplans. Die Regierung wolle die Ghettoisierung der Roma einführen, ob ich das Modell von Erpatak denn nicht kennen würde? Natürlich kenne ich das. Es beruht darauf, dass es sogenannte Erbauer und Zerstörer gibt. Die Erbauer tun der Gesellschaft etwas Gutes, indem sie arbeiten und Ordnung halten. Die Zerstörer sind die Arbeitslosen und Kriminellen, die in Slums wohnen. Das trifft auf einen Großteil der Roma zu, weil ihnen keine andere Wahl bleibt. Zina klärt uns auf: „Es gibt Arbeitsprogramme, zu denen die Arbeitslosen verpflichtet werden. Wenn sie sie verweigern oder zu spät zur Arbeit kommen, wird ihnen die Sozialhilfe gestrichen.“ Auch davon habe ich gehört. Allerdings muss man dazu wissen, dass die Entscheidung über die Sozialhilfe bei der Verwaltung liegt. In kleinen Dörfern wie Erpatak ist das der Bürgermeister und in Erpatak hat das dazu geführt, das besonders im Romaviertel Hausbesuche gemacht werden, um zu schauen wie ordentlich die Bewohner sind. Das will mir alles nicht in Kopf. Wie kann es zu so einer Ungerechtigkeit kommen? Noch während ich nachdenke, spricht Zinas Begleiter die Antwort aus: „Und die Bevölkerung macht mit…“

14.08.2014: Russische Metro und die MEASZ

Wo wir gestern noch Probleme mit 32 Grad im Schatten hatten, gießt es heute in Strömen. Wir wollen trotzdem raus. Wir schlendern an der Donau entlang und wollen den Vormittag trotz Regens genießen. Vom Ufer aus können wir die Prachtbauten auf der anderen Seite des Flusses begutachten. Dort steht auch die Buda-Burg, die sich Orban nun zum Amtssitz einverleibt hat. Ich erinnere mich plötzlich, dass ich in Budapest schon mal war – mit einer Kirchenfreizeit – bevor die jetzige Regierung ins Amt kam. Nun entfernen wir uns vom Fluss und gehen durch enge Straßen. Ziel ist die prachtvolle Synagoge von Budapest – die größte Europas. Um den Bau herum befindet sich dann auch das „jüdische Viertel“. Ich hätte mich gerne mit den Bewohnern unterhalten, meine paar Worte Hebräisch zur Schau gestellt und die Synagoge von innen gesehen. Aber wir haben keine Zeit mehr, wir müssen zurück zur Wohnung. Also hasten wir durch den Regen und ich frage mich, wie meine Glaubensgenossen in Budapest wohl leben, ob sie hier glücklich sind, ob sie Angst vor dem antisemitischen Kurs der Regierung haben? Mein Kollege erzählt mir, dass oft Grüppchen aus dem rechten Spektrum vor der Synagoge gestanden hätten, sodass nun das Polizeiaufgebot verstärkt wurde. Ich frage mich, warum die Regierung nun eine Synagoge schützen lässt. Aus Überzeugung bestimmt nicht! Zu einer Antwort komme ich nicht, denn wir müssen unsere Sachen zusammen packen, hasten dann die Stufen unserer Wohnung wieder hinunter und zur Metrostation. In der Metrostation wird mir wieder bewusst wie kontrollsüchtig dieser Staat ist. Sie kontrollieren jeden am Eingang zur Rolltreppe – manchmal auch am Ausgang – sodass man gar keine Möglichkeit hat ohne Ticket zu fahren. Wir kommen durch die Kontrolle und rasen – nicht fahren – die Rolltreppe runter. Ungarische Rolltreppen sind um einiges steiler und schneller als deutsche Rolltreppen. In Kombination mit den engen U-Bahnschächten und den tiefen Decken ist das ziemlich unangenehm und beengend. Unten angekommen sehen wir eine alte Moskauer Metro einfahren, die mit lautem Quietschen und Knattern vor uns hält. Wir steigen mit einem Schall von Menschen in das eh schon dichte Gedränge im Wagen ein. 20 Minuten später hat uns die Metro irgendwo anders wieder ausgespuckt. Wir treffen uns am MC Donalds neben der Metrostation mit Zinas Begleiter von gestern, der uns dann zum Büro der ungarischen Antifaschisten bringen soll. Heute findet eine Konferenz statt, weil die Regierung dem Ku-Klux-Klan erlaubt hat im Oktober ein drei tägiges Treffen in Ungarn abzuhalten. Deshalb soll überlegt werden, was dagegen unternommen werden kann und wie man sich Gehör bei EU Institutionen und anderen antifaschistischen Gruppen aus dem Ausland verschaffen will. Wieder bin ich ein wenig traurig, dass ich kein Ungarisch sprechen kann und die meisten Ungarn – auch in intellektuellen Kreisen – kein Englisch. Ich hätte bei diesem Treffen gerne mitgeredet. Zinas Begleiter bringt uns zu einem grauen Haus, an dessen Wänden nun durch den Regen der Schmutz runter fließt. Der Türsummer ertönt und wir gehen hinein. Im zweiten Stock erwartet man uns bereits. Ich bin ein wenig überrascht. So schmutzig und heruntergekommen das Haus von außen aussah, desto prunkvoller sieht nun dieses Büro aus. Auf alten Dielen liegen nachgeahmte Perserteppiche, es gibt eine kleine Bibliothek und die einzelnen Räume sind mit Souvenirs und Antiquitäten ausgestattet. Nur die abgewetzten roten Sessel wollen hier einfach nicht reinpassen. Neben einer EU-Fahne hängt die ungarische Fahne. Das wäre in deutschen Antifa-Kreisen nie möglich! Daneben die Fahne der Organisation. Sie nennen sich „Hungarian Federation of Resistance Fighters and Antifascists – Together for Democracy (MEASZ)“ und sind ein Mitgliedsverein des „International Federation of Resistance Fighters – Association of Antifascists (FIR)“, einem Dachverband, dem auch der deutsche VVN-BDA angehört. Das erklärt auch die hierarchischen Strukturen: Es gibt hier einen Vorsitzenden. Und dieser Vorsitzende kommt just in diesem Moment in sein Büro gerannt. In der Hand hält er einen dicken gebogenen Metalldraht mit spitzen Enden und fängt an zu schimpfen. Mein Kollege übersetzt: „Das habe ich gerade unter meinem Auto gefunden! Wenn ich zurückgesetzt hätte, um auszuparken, dann hätten sich die Enden dieses Drahtes in meinen Reifen gebohrt.“ Zuerst muss ich fast Lachen, das dieses Häuflein etwas schrulliger Antifaschisten, die überwiegend jenseits der 40 sind, Opfer eines Anschlags werden. Im zweiten Moment macht es mir Angst. Das hat zwei Gründe: Erstens haben diese Menschen hier mit Bedrohungen aus rechten Kreisen und Repressionen von der Regierung zu kämpfen, die sich Antifaschisten in Deutschland gar nicht vorstellen können. Und Zweitens ist da sonst niemand außer dieser etwas schrulligen Antifaschisten jenseits der 40. Es gibt keine gewachsene Bewegung mit vielen jungen Aktivisten. Der Vorsitzende legt das „Tatwerkzeug“ wie eine Trophäe auf ein Regal und ich vermute, dass es nicht das einzige Beweismittel ist, was hier rum liegt. Wir bauen Stativ und Kamera auf und entscheiden uns spontan für eine Interview-Aufnahme. Interview und Konferenz sind innerhalb von zwei Stunden erledigt (auch das wäre in Deutschland nie möglich). Auf dem Weg zurück zu unserer Wohnung mache ich mir Gedanken, ob es in Ungarn nicht doch eine junge antifaschistische Bewegung gibt, eine autonome Bewegung abseits vom Vereinsantifaschismus. Wir werden Zina morgen wieder treffen und ihr auf den Zahn fühlen.

15.08.2014: Es gibt sie doch!

Wir laufen in der Mittagshitze wieder durch Budapest. Diesmal zu Zina, die ungefähr zwei Kilometer von uns entfernt wohnt. Sie hat uns zu sich nach Hause eingeladen, weil sie uns einiges zeigen und erzählen will, was nicht jeder mitbekommen soll. Obwohl die Häuser in Budapest fast überall noch grau und heruntergekommen sind, ist die Straße, in der Zina wohnt, trotzdem wunderschön. An den Straßenrändern stehen riesige alte Bäume, auf den Bürgersteigen tummeln sich kleine Cafés. Zinas Wohnung sieht aus wie eine Studentenbude. Sie besteht aus einem Raum für Küche, Wohnen und Schlafen, daneben ein kleines Bad. Mein Kollege und ich haben beschlossen, dass er heute nur als Dolmetscher fungiert. Ich habe viele Fragen an Zina. Besonders die Frage nach autonomen Strukturen beschäftigt mich immer noch. Zina raucht und spielt mit ihrem Feuerzeug während mein Kollege die erste Frage übersetzt. Zina antwortet zu meinem Erstaunen ausführlich und punktiert. Ja, es gibt autonome Antifa-Gruppen in Budapest und auch in einigen weiteren Städten. Auf dem Land gibt es sie nicht, weil dort die Rechten zu stark sind. Zina zeigt uns ein Foto von zwei vermummten Aktivisten mit einem Transparent. So hatte ich mir das eher vorgestellt. Die Gruppen organisieren keine eigenen Veranstaltungen, nehmen aber an Demonstrationen teil. Auch gibt es Szene-Kneipen, in denen man sich trifft. Zina redet lange über autonome Strukturen, dass auch ihre Gruppe basisdemokratisch und autonom sei, auch wenn für die Öffentlichkeit sie die Vorsitzende sei. Sie erzählt uns von vergangenen Aktionen und Demonstrationen und ich bekomme langsam ein Bild von der hiesigen Szene. Aber ich will mehr über Zina wissen. Wer ist diese zierliche Person mit roten Haaren, etwa 30 Jahre alt? Sie muss ein wenig lachen. Zina sei nur ein Deckname, den sie benutzt, weil sie schon oft von paramilitärischen Naziorganisationen bedroht wurde. Ihren richtigen Namen will sie uns nicht nennen. Und trotzdem merke ich, dass sie langsam Vertrauen schöpft und bereit ist uns mehr zu erzählen. Wie genau sie ins Blickfeld der Nazis geraten sei, frage ich sie. Sie sei Journalistin und hätte auf Demonstrationen der Nazis und auch bei Angriffen der Nazis auf Demonstrationen Fotos gemacht. Die Nazis in Ungarn müssten nichts befürchten, wenn sie Menschen zusammenschlagen oder niedermachen, aber sie hätten dennoch Angst vor Journalisten, die das an die Öffentlichkeit bringen. Zina selbst hätte schon mehrere Morddrohungen per Mail bekommen. Ob sie immer noch als Journalistin arbeitet? Nein, sagt sie mit einem traurigen Lächeln, dafür gab es kein Geld. Sie sei jetzt arbeitslos und es gäbe auch keine Arbeit in Ungarn. Ich erinnere mich an ihren Begleiter vom ersten Tag, der sagte: „Wenn du schlau bist, wanderst du aus.“ Wenn Zina nicht bald Arbeit findet rutscht sie auch in die Sozialhilfe rein und muss vom Staat verordnete Arbeit verrichten. Ihr ist das Thema unangenehm und sie wechselt lieber wieder zum Thema antifaschistische Gruppen. Sie zeigt uns an ihrem Computer viele Bilder von Demonstrationen, die sie mit ihrer Gruppe organisiert hat. Sie haben auch Nazis bei Demonstrationen abfotografiert, die besonders auffällig waren. Sie zeigt und die Internetshops, wo man sich T-Shirts mit Runen und Abbildern vom Konzentrationslager Auschwitz inklusive entsprechender Schriftzüge zusammenstellen kann. Ich bin schockiert. All diese menschenverachtenden Slogans und Bilder sind in Ungarn erlaubt. Zina klickt sich mit uns weiter durchs Internet. Sie erklärt uns einige paramilitärische Organisationen der Rechten, die besonders in ländlichen Gebieten berüchtigt sind. Die ungarische National Garde und die Betyarsereg sind die Berüchtigtsten. Von Letzteren wurde auch Zina bedroht. Das reicht uns erst einmal an Informationen. Wir müssen das alles jetzt noch in ein Interview verpacken und außerdem haben wir alle drei Hunger. Am Ende des Tages habe ich Zina richtig ins Herz geschlossen und vor allem ein genaueres Bild von ihr. Sie hat auf einmal angefangen Englisch zu sprechen, damit ich sie auch direkt verstehen kann (auch wenn das nicht immer geklappt hat). Wir konnten zusammen lachen auch ohne das wir verstanden haben, was die jeweils andere gesagt hat. Sie will uns weiter auf dem Laufenden halten und auch anderen Antifaschisten vorstellen. Ich habe das Gefühl jetzt am Anfang dessen zu sein, wo wir eig. hin wollen: In die autonome Antifa-Szene von Budapest!

16.08.2014: Gespräche am Abend

Krank! Ich bleibe heute zu Hause im Bett!!!! Mein Kollege muss heute also alleine zum Protestcamp vors Parlament fahren. Dort soll heute Abend um 19 Uhr eine Kundgebung beginnen…
„127 Leute! Und alles nur Rentner“, erzählt er mir spät abends als er wieder zurück ist. Wo die jungen Leute seien, hätte er gefragt und fügt noch schnell hinzu: „Also mit jung meine ich die 30 bis 40 Jährigen. Zina war die Jüngste! Von Schülern und Studenten reden wir hier gar nicht.“ Eine Rentnerin hätte ihn dann wohl aufgeklärt: „Die haben alle Angst, dass sie ihren Job verlieren.“ Er hat wohl einige Aufnahmen und auch Fotos gemacht Anschauen werde ich mir die aber erst morgen, denn ich bin ja krank und müde…

17.08.2014: Noch

Wir haben heute frei und ich kann mich einen Tag länger erholen. Die nächsten Tage werden anstrengend werden. Am Frühstückstisch habe ich erfahren, dass Zina uns am 20. August begleiten will. Der 20. August ist in Ungarn ein Nationalfeiertag, an dem normalerweise die Jobbik und andere rechte Gruppierungen und Parteien Aufmärsche veranstalten. Einen Aufmarsch wird es in Budapest dieses Jahr nicht geben, dafür aber ein Familienfest der Jobbik. Und das will Zina mit uns besuchen. Ich finde das gefährlich. Schließlich wurde sie bereits von anderen rechten paramilitärischen Gruppen bedroht. Ich schlürfe meinen Tee, während mein Kollege erklärt, dass die Jobbik ja nicht wisse wer Zina ist. „Vernetzen die Rechten sich denn nicht untereinander?“, frage ich. In Deutschland gibt es ja sogar schwarze Listen, die im Internet veröffentlicht werden. Sowas muss es doch hier auch geben – zumal es hier wesentlich einfacher ist die linke Szene zu überwachen, weil sie so klein ist. „Zina hat gesagt, das ist alles in Ordnung“. Mein Kollege beißt wieder in sein Käsebrot. Weil wir beide nicht so richtig wissen was wir nun mit unserem freien Tag anfangen sollen, will er einen Spaziergang machen und ich geh wieder schlafen und mich auskurieren.
Am Abend gehen wir dann doch noch zusammen raus. Wir laufen bis ins jüdische Viertel um zu essen. Die Innenhöfe der Häuserblöcke sind durch Gassen miteinander verbunden. Dort wimmelt es vor Menschen. Entweder solche, die was verkaufen wollen, oder solche die etwas kaufen oder eben essen gehen wollen wie wir. Ich nutze die Zeit um meinen Kollegen auszufragen über Budapest, über die Leute hier, die Historie der Stadt, insbesondere über die Zeit im Gulaschkommunismus. Ich bekomme ein Bild, das weit entfernt von Geschichtsbüchern ist. Schließlich hat er hier längere Zeit gelebt und kennt sich hier aus. Er will mir noch mehr von der Stadt zeigen. Also laufen wir durch die Innenhöfe zur Musikschule und dem Theater von Budapest. Der Intendant entlassen, weil er schwul ist. Stattdessen hat jemand von der Fidez-Partei, also der Regierungspartei, die Stelle eingenommen. Wir gehen weiter zur Oper, die nur ein Stückchen weiter liegt. Unterwegs kommen wir an einem zerfallenen Haus vorbei, der Putz und erste Steine bröckeln schon ab. Ungarns Regierung investiert lieber in Prachtbauten und Fußballstadien. Die Oper ist imposant, aber es zieht uns weiter durch kleine Straßen mit engen und kaputten Bürgersteigen. Je näher wir dem Regierungsviertel kommen, desto breiter und gepflegter werden Straßen und Häuser. Wir laufen an der amerikanischen Botschaft vorbei. Es ist leicht zu erraten, dass es sich um die amerikanische Botschaft handelt. Ein besser bewachtes Gebäude gibt es in der Umgebung nicht. Fast direkt daneben ist das neugebaute Denkmal zur deutschen Besetzung. Hier wurde mit Kitsch nicht gespart. Das Denkmal besteht aus mehreren Säulen, in der Mitte der Erzengel Gabriel (Zeichen für die Unschuld Ungarns), der vom deutschen Reichsadler aufgefressen wird. Davor der Grund, warum ich eigentlich stehen geblieben bin: Die sogenannte Fragenmauer. Viele Antifaschistische Gruppen, aber auch prominente Persönlichkeiten und jüdische Verbände haben gegen dieses Denkmal protestiert. Denn das Denkmal verkörpert die Haltung der ungarischen Regierung zur Shoah, die sich auch in ihrem Land vollzog: Wir standen unter deutscher Besetzung, wir sind unschuldig. Dass ungarische Behörden von sich aus und mit großem Eifer Juden deportiert haben, wird vergessen bis verleugnet. Ich stehe immer noch vor dieser Fragenmauer vor dem Denkmal. Mich erstaunt, dass diese Aktion hier überhaupt stattfinden darf. „Noch müssen sie sich ja an ein paar rechtsstaatliche Mittel halten“, sagt mein Kollege. Ja, denke ich, noch… Ich habe in den letzten Tagen so viel erfahren über dieses Land, wie hier die Demokratie mit Füßen getreten wird, Menschen eingeschüchtert werden und wiederum anderen Menschen die Waffen in die Hand gegeben werden um ihr rassistisches Weltbild zu verbreiten. Ich frage mich ernsthaft wie lange dieses „noch“ noch gilt.

19.08.2014: Nie wieder Kakao!

Mein Gesundheitszustand hat sich in den letzten Tagen nicht wirklich verbessert, weshalb wir beschließen heute zum Arzt zu gehen. In Budapest gibt es etliche Ärzte – und das obwohl im letzten halben Jahr mehr als 500 Ärzte ausgewandert sind. Trotzdem schickt uns die Frau in der Apotheke ein ganzes Stück durch die Stadt zu einem Bereitschaftsarzt. Ich verstehe nicht so ganz warum wir nicht zu einem normalen Arzt gehen können. Aber wir tun ihr den Gefallen und gehen zu besagten Bereitschaftsarzt. In Haus Nummer 14 müssen wir erst einmal eine ganze Weile suchen bis wir die Praxis gefunden haben. Sie liegt nicht im Innenhof, sondern zur Straße hin – allerdings zur Querstraße hin, warum wir sie nicht sofort gefunden haben. Es ist eine ganz normale Arztpraxis wie man sie aus Deutschland auch kennt, ein wenig dunkel vielleicht. Allerdings – das hat uns die Frau in der Apotheke nicht gesagt – soll der Arzt erst um zwei Uhr kommen. Wir haben es jetzt halb zwölf. „Kein Problem, das regeln wir“, sagt uns die etwas pummelige Sprechstundenhilfe und ruft den Arzt an. Der verspricht in einer halben Stunde da zu sein und ist es zwanzig Minuten später auch wirklich. Der Fahrer seines Notarztwagens sei mit Blaulicht gefahren, erklärt er uns. Ich habe die Befürchtung, dass den Ungarn nicht derartig schnell Hilfe organisiert wird. Der Arzt führt uns in ein Behandlungszimmer. „Infekt“, stellt er fest, nachdem er mich untersucht hat. Er verschreibt mir Medikamente und gibt mir noch eine Vitaminspritze. Er habe drei Brüder, die in Deutschland studiert haben, erzählt er uns vollkommen begeistert. Das ist für ihn auch gleich ein Grund uns eine Ermäßigung in das Rezept zu schreiben und auch weniger Geld für die Behandlung einzufordern: „Schmeiß einfach 5000 auf den Tisch, dann passt das schon“. „Ähm, Entschuldigung, welchen Namen soll ich denn in das Rezept eintragen?“, fragt die eh schon genervte Arzthelferin. „Ach, trag doch irgendwas ein“, ist die Antwort des Arztes, der anscheinend bester Laune ist. Letzten Endes unterschreibt mein Kollege anstatt des Arztes das Rezept, was aber auch niemanden auffallen dürfte, weil es auch nur ein Krakel anstatt einer lesbaren Unterschrift ist. Dann werden wir entlassen. Ich sehe noch aus den Augenwinkeln wir der Arzt in seinen Wagen einsteigt und dann wieder mit Blaulicht abzischt. Erst im Nachhinein fällt mir auf, dass er Rom ist. Ungefähr 5 – 10 % der Roma haben sich derartig assimiliert, dass sie selbst in Ungarn eine Chance auf Bildung und gesellschaftlicher Integration haben. Wir gehen noch in ein Cafe und bestellen Espresso und Kakao. Den haben wir uns jetzt redlich verdient. Kakao heißt auf Ungarisch forró csokoládé, also wörtlich übersetzt heiße Schokolade. Dieses Getränk macht dem Namen alle Ehre, es ist wirklich geschmolzene Schokolade und zuckersüß. Ich muss es löffeln, denn es hat die Konsistenz eines Puddings. Also löffel ich und löffel und löffel…

19.08.2014: Der Saxophonist aus der Vaci utca

Wir sind wieder unterwegs. Dieses Mal die Vaci utca hinunter. Wir sind auf der Suche nach einem Straßenmusiker, aber nach einem ganz besonderen. Die Vaci utca ist eine Einkaufsstraße und Fußgängerzone, in der – wenn auch ein ganzes Stück weiter oben – unsere Wohnung liegt. Uns kommen viele Menschen entgegen, rechts und links sind Restaurants und Läden. Entsprechend laut ist die Geräuschkulisse. Aber wenn man ganz genau hinhört, vernimmt man die Klänge eines Saxophons – und genau da wollen wir hin. Er steht immer dort vor dem geschlossenen Einkaufszentrum, hat eine ungarische Fahne an seiner Geldsammelbox und hinter sich einen roten Lautsprecher. Daran angeschlossen ist sein Handy, über das er alles Mögliche an Hintergrundmusik laufen lässt: Abba, Michael Jackson, die Skorpions. Und mittendrin steht nun dieser Mensch mit Schlappen und kurzer Hose, runder Brille und Locken auf dem Kopf und spielt mit seinem Saxophon zu der Hintergrundmusik. Immer, wenn ihm jemand Geld spendet, gibt er ihm oder ihr einen „high-five“, schafft es aber dabei noch weiter zu spielen. Er ist begeistert, dass wir ihn filmen wollen und lässt uns sogar die Lieder auswählen. Es sind eh schon viele Leute stehen geblieben, um ihm zuzuhören, aber mit unserer großen Kamera, erregen wir noch mehr Aufmerksamkeit. Er scheint das zu genießen und nutzt das aus, indem er anfängt die Leute direkt anzuspielen. Nach den Aufnahmen zeigt er uns begeistert seine Aufenthaltsgenehmigung in Japan, dort habe er schließlich auch schon gespielt. Er unterhält sich noch kurz mit uns, dann mit irgendwem anderes und dann muss er weiterspielen, fast schon so als würde er es nicht aushalten fünf Minuten lang nicht zu spielen. Für meinen Kollegen und mich trennen sich hier die Wege, er möchte noch ein Interview aufnehmen mit dem Gründer des Klappstuhl-Camps vorm Parlament. Ich versuche mich noch ein wenig zu erholen, morgen treffen wir schließlich zum ersten Mal auf die Jobbik.

20.08.2014: Undercover

Uns wurde empfohlen so wenig Ausrüstung wie möglich mitzunehmen und uns als Touristen auszugeben. Bloß nicht sagen, dass wir einen Film drehen und schon gar nicht, dass dieser von Antifaschisten handeln soll. Die Angst ist präsent.
Wir treffen uns mit Zina und Micha – einem ihrer Freunde und ebenfalls Aktivist des Anti-Orban-Camps – in einem Cafe nahe des Heldenplatzes in Budapest. Es regnet. Insgeheim freut mich das, denn das bedeutet, dass auch das Familienfest der rechts nationalen Partei Jobbik ins Wasser fällt. Heute ist Nationalfeiertag und wenn die Jobbik nicht aufmarschiert, macht sie wenigstens ein Familienfest. Das müssen wir allerdings erst einmal suchen, denn vor der Siegessäule, wo wir es vermutet haben, ist es nicht. Wir irren im Park hinter dem Heldenplatz, auf dem die Siegessäule steht, umher. Man sollte meinen, dass man so ein Fest in einem Park doch recht schnell finden kann, aber bei einem 40 Hektar Park mit zwei Burgen ist das gar nicht so einfach. Mittlerweile regnet es nicht mehr ganz so stark wie heute Morgen noch, dafür haben sich auf dem Weg große Pfützen gebildet. Micha ruft irgendwen an: „Kannst du mal eben herausfinden, wo dieses scheiß blöde Jobbik-Fest ist? Ja, richtig, wir suchen die Jobbik!“ Keine fünf Minuten später weiß er wo wir hin müssen.
Ich schaue mich unglaubwürdig um. Das Fest ist kleiner als gedacht. In einem Festzelt hält irgendwer von der Jobbik eine Rede, es wird Ponyreiten für die Kinder angeboten, diverse Fress- und Souvenirsstände, am anderen Ende der Wiese eine Bühne – das war’s. Dafür sind sie Menschen, die hier rum laufen, umso spannender. Viele davon würden im Stadtbild gar nicht auffallen. Jung wie Alt, Freunde, Familie, Bekannte. Trotzdem, hier her verläuft man sich nicht einfach so. Am interessantesten sind allerdings die Jobbik-Securities. Sie tragen alle Armeehosen, die sie in ihre Springerstiefel gestopft haben. Dazu weiße Hemden und schwarze Westen oder Jacken, wo hinten breit der Parteiname aufgedruckt ist. Sie sehen doch überall gleich aus, die Nazis…. Ich schaue mich um. An den Ständen gibt es neben Ketten in Farben der Nationalflagge und diversen Broschen in den selben Farben auch Runen als Kettenanhänger zu kaufen. Dazu T-Shirts mit eindeutig faschistischen Aufdrucken. Selbst Kinderbücher sind hier zu finden. Ich lege eines dieser Bücher zur Seite, weil das Bühnenprogramm angefangen hat. Ein Mensch mit brauner Hose und beigen Hemd, der auffallende Ähnlichkeit mit Udo Pastörs hat, versucht auf der Bühne einen Vogel nachzumachen. Merkt der denn nicht, dass das weder die Kinder noch die Eltern in irgendeiner Form lustig finden? Wir filmen und fotografieren die meiste Zeit heimlich, wenn nicht geben wir uns auffällig als Touristen zu erkennen. Diesmal fällt es anscheinend auf. Zina warnt uns, dass sich ein paar Meter weiter eine Personengruppe der Jobbik-Security sammelt. Das ist unser Stichwort zum gehen und wir verschwinden in Richtung der zwei Burgen. Aus den Augenwinkeln sehe ich noch den Wachmann für die ausgestellte Kopie der Ungarischen Krone (die echte wurde auf Wunsch Orbans aus dem Nationalmuseum entfernt und ins Parlamentsgebäude gebracht, wo sie nun für die Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich ist). Für alle Marc-Uwe-Kling-Fans: Ich habe hiermit den Krapotke Ungarns gefunden!

21.08.2014: Ein letztes Mal

Als ich meinen Rucksack ins Auto verlade, tropft es von der Kofferraumklappe. Es regnet schon den ganzen Morgen. Der Taxifahrer hat verstanden, dass ich zum Flughafen möchte, also verabschiede ich mich von meinem Kollegen und steige ein. Mein Kollege wird jetzt weiter nach Debrezen fahren zu einer mit ihm befreundeten Familie. Eig. Hätte ich mitfahren sollen, aber nun sitze ich in diesem Taxi und lasse mich durch den dichten Verkehr kutschieren. Vor uns kreuzt uns eine Straßenbahn, die vor ein paar Jahren noch in Hannover gefahren ist. Nun ist sie gelb statt dem bekannten Grün. Ich bin traurig, dass ich nicht mitkommen kann. Vor allem aber macht sich Wut in mir breit, Wut auf mich selbst und darauf, meinen Kollegen im Stich gelassen zu haben. Musste ich denn ausgerechnet jetzt krank werden? Nach einer schlaflosen Nacht hatte ich heute Morgen entschieden zurück zu fliegen, es hatte keinen Sinn mehr. Seit Tagen quälte ich mich mit Magenkrämpfen, die eig. mal genau untersucht werden müssten. Die Entscheidung war nun gefallen und auch nicht mehr rückgängig zu machen, trotzdem macht es mich traurig dieses Land nun verlassen zu müssen. Ich bin hier vor 1,5 Wochen her gekommen, um eine Reportage über eine Antifaschistische Szene zu machen, von der ich dachte, dass es sie überhaupt nicht gibt. Ich habe durch Menschen wie Zina und Micha einen ganz anderen Blick auf dieses Land bekommen. Und es bleibt mir nicht viel anderes übrig als meine Hoffnungen in genau diese Menschen zu legen. Wir haben es nun aus dem dichten Innenstadtverkehr heraus geschafft und fahren nun wieder auf der Straße parallel zu den Schienen, auf denen wahrscheinlich noch lange Zeit ausrangierte Züge der Deutschen Bahn fahren werden. Wir fahren ein letztes Mal vorbei an dem Obi-Markt, vorbei an den Plattenbauten, die nach hinten immer größer und höher werden. Ich werde sie noch vom Flugzeug aus sehen können. Ein letztes Mal vorbei an den kleinen Häuschen, die sich direkt an der Straße reihen. In der Ferne kann ich schon den Tower des Flughafens sehen, in Deutschland werde ich bereits erwartet.

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