Was war das für ein Leben… Geboren noch im 1. Weltkrieg, den zweiten als Jüdin durchlitten und im Angesicht des russischen Überfalls auf die Ukraine gestorben… Sonja wurde 105 Jahre alt und war niemals leise gegen Faschismus und Krieg! Nun ist Sonja bereits seit über einem Monat nicht mehr da… Für uns bleibt sie aber ganz lebendig!
„Für mich war Sonja immer eine unfassbar starke und bewundernswerte Person. Wenn ich an sie denke, denke ich als erstes an ein ganz bestimmtes Bild: Am ersten Mai, ich glaube 2019, an dem Sonja wie in einem Thron neben dem Falkenstand saß und die Menschen dort begrüßt hat. Das hat mir damals klar gemacht, wie besonders es ist, jemanden wie Sonja zu kennen. Ich glaube, Sonja hat nicht nur extrem wichtige Arbeit geleistet, sie war zusätzlich ein extrem lieber und interessanter Mensch, die ich immer in Erinnerung behalten werde.“
Eine jugendliche Genossin aus Lüneburg
Unsere Freundin, Förderin und Ratgeberin ist im April gerade noch 105 Jahre alt geworden. Nun starb sie kurz nach den Feierlichkeiten zum 1. und 8. Mai.
In den frühen Morgenstunden des 10. Mai wachte Sonja nicht wieder auf. Wir vermissen sie unendlich!
Geboren wurde Sonja am 17. April 1917 als drittes Kind einer kommunistischen Familie in Berlin. Sie verlebte eine schöne Kindheit mit ihren beiden Geschwistern und lernte früh ganz Europa kennen, da ihre Eltern zeitweise in Frankreich und anderen Orten lebten.
Dadurch hatte Sonja schon früh einen Zugang zu vielen Sprachen. Französisch, Englisch und die Kunstsprache Esperanto sprach sie fließend.
Im Nationalsozialistismus gelang es ihr immer wieder –wie sie immer mit einem verschmitzten Lächeln sagte: „Blond und blauäugig“– den Nazis ein Schnippchen zu schlagen. Ihre Schwester wurde ins KZ Ravensbrück gebracht, Sonja schaffte es, sich dem zu entziehen…
Erst nach 1945 wich langsam die alles zersetzende Angst vor Verfolgung und Tod… Früh schon, fast direkt zur Gründung, 1947, engagierte sie sich in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN), deren Ehrenmitglied sie bis zu ihrem Tod war.
Ein neues Leben in Lüneburg
Ein neues Leben begann die in der DDR studierte Lehrerin Anfang der 1950er Jahre dann in Lüneburg: Ein Kurzstudium an der Pädagogischen Hochschule Lüneburg ermöglichte ihr auch „im Westen“ als Lehrerin tätig zu sein. Kurz nach Beginn des Studiums gründete sie mit Freund:innen den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Später trat sie der Lüneburger SPD bei und wurde sogar Ratsfrau in Lüneburg.
Gleichzeitig sorgte sie mit anderen Engagierten dafür, dass hier in Lüneburg eine neue Schulform entstand: Die „Sonderschule G“ zur intensiven Unterstützung von geistig behinderten Menschen – und sie gründete die Lebenshilfe in Lüneburg mit. Ein Leben für Benachteiligte, immer und immer wieder!
…und das antifaschistische Engagement durchwirkte alles in ihrem Leben…
Sonja war hier in Lüneburg schnell und tiefgreifend politisch vernetzt. Dies führte auch dazu, dass sie ihre antifaschistischen Ideale in jede Ebene ihres Lebens einbezog. Sie waren immer und überall spürbar präsent. Auch bei der Auswahl ihres letzten Lebensabschnitts: In einer antifaschistschen, generationsübergreifenden Wohngemeinschaft. Ein unglaublicher Schritt, nach 50 Jahren in ihrer zwei-einhalb-Zimmerwohnung in der Kefersteinstraße… mit 85 Jahren!!!
Aber es hat geklappt und alle hatten etwas davon: Sonja lebte unter „jungen Leuten“ und die „jungen Leute“ durften mit Sonja leben und so von ihrem unglaublich spannenden und vielfältigen Leben erfahren.
Sonja stand immer mit Rat und Tat zur Seite, auch wenn unsere Genoss:innen mal etwas für die Schule ausarbeiten mussten und noch Hintergrundinfos brauchten. Sonja konnte immer gefragt werden… und sie antwortete – immer spannend, niemals oberlehrerhaft und immer sagte sie: „Ich lerne doch durch diese Gespräche auch immer was…“. Ihre Antworten waren meist eher Impulse, die das Weiterforschen wieder spannend machten, nie war es von oben herab!
Sonja war eine Falkin…
Wir Falken hatten eine feste Verbindung zu Sonja. Ihr antifaschistisches Engagement, ihre Geschichte als Verfolgte des Nazi-Regimes und ihre sozialistische Grundhaltung beeindruckte Generationen der Jugendlichen unseres Verbands in Lüneburg und darüber hinaus. Und so entschloss sich der Unterbezirk auf seiner Unterbezirkskonferenz 2019 dazu, den Falken-Treffpunkt, der bis dahin nur „Falken-Laden“ hieß, in Sonja-Barthel-Haus umzubenennen.
Sonja war sehr gerührt darüber und fand das eine so schöne Idee!
Gerade bei unseren Ständen zum 1. Mai hatte Sonja immer einen festen Platz bei uns am Stand und genoss das wirbelige Geschehen der Kinderaktionen und unterstützte darüber hinaus jedes Jahr sehr großzügig unsere Zeltlager-Pat:innenschafts-Aktion. Am Falken-Stand traf sie Falken-Genoss:innen und tauschte sich über inhaltliche und weitere Falken-Fragen mit den Kindern und Jugendlichen aus. Das war für uns immer ein schönes Zeichen, dass Sonja für uns da war, mit Rat und Tat zur Seite stand!
Danke dafür, Sonja!
Wir vermissen Dich so!
Sonja wünschte sich übrigens mit 80 Jahren einen Computer, den sie auch bekam. Damit war sie schnell in der Lage, ihre Lebenserinnerungen zu tippen… Nach 10 Jahren war es dann soweit: Pünktlich zu ihrem 90. Geburtstag hatte sie das Buch fertig und es kam 3 Tage vor ihrer Geburtstagsfeier aus der Druckerei…
Dieses Buch „Wie war das damals, erzähl doch mal… – Lebenserinnerungen 1917 bis 2004“ kann in der Lüneburger Geschichtswerkstatt erworben werden: info@geschichtswerkstatt-lueneburg.de – es lohnt sich!
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