Schule auf dem Weg zum Edelknast?

Ungekürzte Version unseres Leserbriefs
an die Landeszeitung für die Lüneburger Heide:
 „Schüler wollen ihr »altes Abi« zurück“, LZ vom 19.2.08, Seite 3

Endlich, endlich sagt das mal jemand, dachte ich beim Lesen des Artikels. Danke an den Schülerrat der WRS.
Es geht bei der Kritik am neuen 8 jährigen Gymnasium nicht um eine rückwärts gewandte Schuldiskussion, sondern um die Frage, was sich PolitikerInnen noch so alles am grünen Tisch ausdenken können, ohne, dass es auf Widerstand trifft. Der von den Schülern beklagte Missstand an Gymnasien trifft in nicht sehr viel minderer Form auch Realschüler, die täglich zwischen zwei und drei Stunden an Hausaufgaben mit nach Hause bringen und dies nach einem bis zu 9 stündigen Schultag.
Die im Artikel beklagte mangelnde Freizeit für ein außerschulisches Engagement trifft vor allem einen Bildungsbereich, den wir als eine wichtige Säule dieser Demokratie bezeichnen: Jugendverbände. Fragen Sie einmal einen X-beliebigen Politiker, wo er sein demokratisches Handwerk gelernt hat. Sie bekommen sehr selten die Auskunft, dass dies nicht in einem Jugendverband geschah.
Dies wird zunehmend unmöglich: junge Menschen gehen morgens in das System Schule, aus dem sie bis zum Nachmittag nicht mehr freigelassen werden, daran anschließend folgen noch Stunden für Hausaufgaben und sonstige schulische Belange und nun kommt noch das Wochenende ins Gespräch.
Es fehlt nur noch die Rundumbetreuung durch die Schule mit 3 Wochen Freigang, dann wird Schule zur totalen Institution, eben einem Edelknast.
Es ist hinlänglich bekannt, dass wir 70% unseres für alle Bereiche des Lebens relevanten Wissens außerhalb von Schule erwerben.
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn Schule den kompletten Tag okkupiert und junge Menschen gar keine Freizeit mehr haben.Im Gegenteil!
Dieser, von Bewahrpädagogen als wichtig und kriminalpräventiv bezeichneter Weg, ist in Wirklichkeit ein Horrorszenario. Das Ziel soll sein, Kinder und Jugendliche „von der Straße“ zu holen und Eltern den Weg wieder frei zu machen für ihre berufliche Zukunft.
Nach der emotionalen, psychischen und physischen Zukunft unserer Kinder fragt dabei niemand. Hauptsache sie stören nicht mehr „auf der Straße“.
Als Jugendmedienprojekt eines Jugendverbandes stellen wir jedoch fest: Kinder und Jugendliche sind besser als ihr Ruf. Sie sind kreativ, liebevoll, Rücksicht nehmend, umsichtig und wollen sich sozial engagieren. Dieses unglaubliche Potenzial wird mit einer sich immer weiter ausdehnenden Schule vernichtet.
Und diese Tendenz ist gerade in Niedersachsen sehr stark ausgeprägt: Mit der Abschaffung des Landesjugendamtes zum 1.1.07 ist die Einheit der Jugendhilfe nicht nur stark gefährdet, sondern sie ist in weiten Teilen vernichtet. Hintergrund ist die Föderalismusreform, die es den Bundesländern frei stellt Bundesrecht zu missachten. Das führte in Niedersachsen dazu, dass das Kinder- und Jugendhilfe Gesetzt (Bundesgesetz und wichtigste Rechtsgrundlage für die Rechte von Kindern und Jugendlichen) ausgehebelt wurde. Jugendliche leben hier in Niedersachsen was ihre ureigensten Entwicklungsrechte angeht im Vakuum.
Will das System Schule hier in Niedersachsen diese durch die Jugendhilfe und Jugendarbeit, durch Jugendverbände geleistete Arbeit nun auch noch schultern??? Wo sie doch ihren eigenen Bildungsauftrag nur sehr bedingt erfüllen kann?
Es fehlt an einer breiten Diskussion für ein Bildungsgesamtkonzept, in dem jede Institution und jeder Bildungsbereich seine Stärken mit einbringen kann. Schule, wie auch die Jugendarbeit –hier speziell die Jugendverbände–. Es sollte nicht so getan werden, als würde Bildung nur in Schule stattfinden. Die Jugendarbeit kann sich mit ihren spezifischen, nicht ausgrenzenden und auf anderen Koordinaten, als Bewertung und Segmentierung fußenden Ansätzen durchaus sehen lassen.
An die Schülerinnen und Schüler gerichtet möchte ich schließen: Bravo, dass Ihr einen Anfang gemacht habt und Euch wehrt. Ihr seid die Bildungsprofis auf die die Verantwortlichen hören müssen. Ihr wisst, was Schule gut und effektiv macht. Setzt Euch weiterhin dafür ein.

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